Nationalsozialismus in der Worpsweder Kunst – eine späte Aufarbeitung

Aus heutiger Sicht betrachtet sind für uns die frühen Hitler-Anhänger eine Ansammlung dummer, brutaler und höriger Versager und Schläger, die von ihrem „Führer“ instrumentalisiert wurden. Sie waren von dumpfem Judenhass beseelt, so wie in aktueller Zeit die Hooligans und Neo-Nazis von ihrem Ausländerhass. Das von ihnen ausgehende Gewalt- und Unterdrückungspotenzial ließ allerdings sehr schnell die Massen zu Mitläufern und damit zu Mittätern werden. „Man“ wurde zum Mittäter, indem man wegsah, verdrängte, aber auch denunzierte. Unsere Eltern haben uns über Jahrzehnte vermittelt, dass sie nur dadurch überleben konnten in der Diktatur. Soweit das möglicherweise nachvollziehbar sein mag, bleibt doch die Frage nach den Anstiftern, den Vorbereitern, Geldgebern und intellektuellen Tätern der Nazi-Diktatur.
Auch in einem Dorf wie Worpswede gab es straffe nationalsozialistische Verbände und Strukturen, von denen natürlich die Kunst nicht unberührt blieb. Und auch in Worpswede wurden die Machenschaften der örtlichen Nazis nach dem Krieg nicht aufgearbeitet, weil sie selbst wieder in politische Positionen gehievt wurden. Alte Seilschaften, alte Verbundenheiten, wie sie nun mal in einem Dorf bestehen, waren wichtiger. Hat es deshalb fast 70 Jahre gedauert, bis eine Veranstaltung wie die vom vergangenen Samstag, 15.11.2014, über „Worpsweder Künstler und der Nationalsozialismus“ stattfinden konnte?
Das erste Referat von Professor Hans-Ulrich Thamer über die Kunstideologie und Kunstpolitik in der NS-Zeit haben wir leider nicht mitbekommen. Andere Besucher waren allerdings begeistert und berührt von seinem Vortrag, in dem er unter anderem geschmacklose Ergüsse der „Blut- und Bodenkultur“ – die ja in der bildenden Kunst ebenso wie in der Literatur den Zeitgeist massiv beeinflusste – zeigte.
Dr.Frank Laukötter gilt als Hoetger-Experte. In seinem Vortrag ging er auf das künstlerische Schaffen des Bildhauers und Architekten ebenso ein, wie auf dessen ideologischen Hintergrund. Sein Mäzen Ludwig Roselius beeinflusste ihn mit seinem aberwitzigen Atlantis- und Odin-Kult, der in den Bauten der Böttcherstraße seinen Ausdruck fand. Roselius meinte wohl, in Hitler mit dessen Germanenkult einen Geistesverwandten gefunden zu haben, denn er schrieb schon 1933 (!) an den Reichsschatzmeister Schwarz: (Zitat aus dem Vortrag) „…wenn ich schon einmal zum ersten und letzten Male in meinem Leben einer Partei beitrete, (möchte ich) dieses nicht mit irgendwelchen Interessen verquicken, sondern dem freien Zug meines Herzens folgen. Ich habe unserem Füher ewige Treue geschworen und bin stets bereit, das zu tun, was er über mich bestimmt….Nationalsozialist bin ich seit 1918, wie Sie dieses aus dem beifolgenden, jetzt in neuer Auflage erschienenen Buch „Briefe“, welches ich 1918 geschrieben habe, ersehen.“
Hitler, der nur eine von jedermann erkennbare und deutbare realistische Kunst akzeptierte, war von dem Böttcherstraßen-Ensemble zum großen Erstaunen von Roselius und Hoetger allerdings nicht begeistert und hat das in einer Nürnberger Rede deutlich geäußert. Besonders enttäuscht war Hoetger darüber, dass sein Relief „Der Lichtbringer“ auch nicht die Gnade des Führers fand. Er äußerte sich dazu kurz nach Hitlers Rede wie folgt: „Damit glaubte ich nun endlich der Welt beweisen zu können, wie sehr ich unseren Führer und seine Taten verehre….Wie gern hätten wir auf das Relief die Jahreszahl 1933 eingeschnitten….“ Roselius wollte Hitler sogar so weit gefällig sein, dass er einen Abriss des Lebensbaums, ja sogar der Gebäude vorschlug. Aus Berlin kam jedoch eine „Duldungserklärung“ und später wurde die Böttcherstraße sogar auf Anregung von Albert Speer unter Denkmalschutz gestellt.
Auch Mackensen, über dessen nationalsozialistischen Umtriebe Björn Herrmann im dritten Referat des Tages berichtete, wollte ein Worpsweder Wahrzeichen aus Führerhörigkeit zerstören: den Niedersachsenstein. Doch auch das wurde dann von Berlin abgelehnt. Mackensen als Gründervater der Künstlerkolonie spielte bei der Verbreitung des Nazi-Kunstbegriffs eine bedeutende Rolle. Der Referent beschrieb zunächst die kritische Situation der Künstler nach dem ersten Weltkrieg. Bis 1914 hatten die bedeutendsten Protagonisten in einigem Wohlstand von ihrer Kunst und deren Verkäufen leben können. Nach dem Krieg blieben Käufer und Aufträge aus. Mackensen, der wegen seiner idealisierten Landschaften und der Gemälde vom bäuerlichen Leben – zum Teil romantisierte Armut – dem Kunstgeschmack der Nazis entsprach, konnte sich wieder fangen. Allerdings war er sich auch nicht zu schade, Nazigrößen in heroischen Posen und mit den entsprechenden Symbolen zu porträtieren. Björn Herrmann stellte Heinrich Vogeler und dessen Werdegang dagegen. Vogeler wurde 1925 KPD-Mitglied, lebte zum großen Teil in Moskau im recht komfortablen Haus der Regierung und arrangierte sich mit dem dortigen Regime. Er kreierte mit seinem Werk „Der neue Mensch“ eine neue Zukunft, schuf etliche Bilder in kubistischer Malweise, die im Dritten Reich als entartet eingestuft worden wäre. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt musste er untertauchen, denn Stalin lieferte auch KPD-Mitglieder an die Nazis aus.
In der jeweils anschließenden Aussprache gab es noch einige Fragen und Denkanstöße. Einige Gedanken werden vermutlich alle Teilnehmer/innen der Veranstaltung ähnlich wie uns berührt und beschäftigt haben. Wie kann ein intelligenter, als Unternehmer rational denkender Mensch wie Roselius dem Atlantis-Mythos verfallen? Waren Hoetger und Mackensen „nur“ Opportunisten, die ihren Vorteil aus der Nähe zum „Führer“ ziehen wollten, oder waren sie ihm tatsächlich so hörig, wie sie es in Äußerungen und Briefen darstellten?
Die Aufarbeitung wird weitergehen, versprachen am Ende sowohl Bürgermeister Stefan Schwenke als auch Burckhard Rehage als Vorsitzender der Heinrich-Vogeler-Gesellschaft.

Dr. Frank Laukötter referierte über Hoetger und Roselius

Dr. Frank Laukötter referierte über Hoetger und Roselius

Björn Herrmann über Vogeler und Mackensen "Zwischen den Diktaturen"

Björn Herrmann über Vogeler und Mackensen „Zwischen den Diktaturen“

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Datum: Mittwoch, 19. November 2014
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4 Kommentare

  1. 1

    Eine kleine Korrektur meinerseits: Wie auch vorgetragen, musste Heinrich Vogeler in der Sowjetunion nicht untertauchen. Er war durchaus präsent und sichtbar und wurde auch ausgestellt, hielt sich allerdings längere Zeiträume aufgrund seiner Reisetätigkeit nicht in Moskau auf.

  2. 2

    Danke für die Korrektur, Herr Herrmann. Ich hatte es so verstanden – und kenne die Geschichte so, dass Vogeler zu seinem Glück nicht mehr im Haus der Regierung lebte, als Stalin und Hitler paktierten. Seine Reisen haben ihn somit gerettet, wobei „untergetaucht“ der falsche Begriff war.

  3. 3

    Viele Neuigkeiten gibt es im Buch Bombshell – alles ist dokumentiert.

  4. 4

    …und der Leiter der „Landeszentrale für politische Bildung“ in Thüringen, Franz-Josef-Schlichting, forciert die Umbennung von Straßen, die „antifaschistische“ Namen bzw. Begriffe beinhalten, aber Straßen, benannt nach Bernhardt Hoetger und Fritz Mackensen und auch Werner Peiner
    stören ihn nicht, obwohl diese Künstler, wie Sie selbst feststellen (was für die BRD schon außergewöhnlich ist) nicht nur Sympathisanten des Nazi-Regimes waren, sondern Mittäter.

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